Kann das wahr sein? Da quillt der Markt über von freien Journalisten, die händeringend neue Auftraggeber suchen. Und zugleich hat ein Kollege Schwierigkeiten, für seine selbstständige, aber vergleichsweise sichere Arbeit eine Nachfolgeregelung zu treffen? Ja, das kann sein, weil Angebot und Nachfrage eben nicht immer zusammenpassen.
Natürlich ist die Akquise für viele Freie mehr als mühsam, gerade in Zeiten sinkender Honoraretats und zahlloser freigesetzter Ex-Redakteure. Und anders als beispielsweise die Industrie kennt unsere Branche bisher wenig Nachwuchssorgen. Noch haben viele Medien- und Journalismus-Studiengänge die Hürde eines hohen Numerus Clausus, noch können sich namhafte Journalistenschulen und Arbeitgeber mit entsprechenden Ausbildungsangeboten und Volontariaten aus der Flut der Bewerbungen die Allerbesten herauspicken. Selbst für Praktika und Hospitanzen gibt es oft Wartelisten.
In der Nische ist Fachwissen gefragt
Im Kleinen kann es trotzdem ganz anders aus sehen. Gerade in Nischen wie dem Fach- oder Wissenschaftsjournalismus ist der Bedarf an qualifizierten Kolleginnen und Kollegen unter Umständen schwer zu decken. Hier erfordern die Themen oft – zusätzlich zum journalistischen Handwerkszeug – fundiertes Fachwissen. Schließlich sind die Leser von Fachmedien in der Regel selber Experten, die sich über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufen halten wollen. Da schreiben Wissenschaftler für Wissenschaftler, Ärzte für Ärzte und Ingenieure für Ingenieure.
Allerdings wechselt von den letzteren derzeit wohl kaum einer in die Medien: Es gibt ausreichend gut dotierte Stellen in der eigenen Branche. Der Mangel in der Nische kann deshalb interessante Möglichkeiten für Journalisten eröffnen – wenn sie das richtige Fachwissen mitbringen oder bereit sind, sich entsprechend einzuarbeiten.
Für Reinhard E. Wagner, selbst in der Nische tätig, machte dieser Mangel die Suche nach einem geeigneten Nachfolger zur Herausforderung. Denn der Kölner produzierte mit seinem Ein-Mann-Redaktionsbüro im Auftrag des Fachverlags Schiele & Schön die Fachzeitschrift für Fernsehen, Film und Elektronische Medien (FKT), das offizielle Organ der Fernseh und Kinotechnischen Gesellschaft FKTG. Zwar hatte er Unterstützung für Aufgaben wie den Newsletter und die Grafik, die Hauptlast des Magazins trug Wagner jedoch alleine.
Ein paar Jahre hätte er noch bis zum wohlverdienten Ruhestand gehabt. Doch dann kam im vergangenen Sommer die neue Rentenregelung und bot ihm die Möglichkeit, mit 63 Jahren abschlagsfrei in Ruhestand zu gehen. Die erforderlichen 45 Berufsjahre hatte er. Einfach weitermachen wie bisher kam für ihn nicht mehr in Frage: „Ich habe die letzten Jahre alles gegeben und ich merke, dass ich das so in dieser Intensität nicht noch weiter leisten kann.“ Wie bei vielen freien Journalisten hatte der Urlaub kaum Gelegenheit zur Erholung geboten, und selbst bei Krankheit hatte er sich keine richtige Auszeit gegönnt. Denn die Arbeit erledigte sich nicht von allein und ohne getane Arbeit gab es schließlich kein Einkommen. „Wenn ich mit meiner Frau in den Urlaub gefahren bin, war ich die ersten Tage erstmal krank. Dann habe ich mich ein paar Tage erholt, und zurück zu Hause ging es direkt weiter mit langen Arbeitstagen und durchgearbeiteten Wochenenden. Und das über viele Jahre“, erzählt Wagner im Rückblick auf das geleistete Pensum.
Wer übernimmt?
Nun also die Möglichkeit zum vorzeitigen Ausstieg: Wo Angestellte in dieser Situation fröhlich Pläne für die arbeitsfreie Zeit schmieden, musste Wagner noch ein Problem lösen: Wer würde übernehmen? Ein Nachfolger müsste in die Thematik des Heftes eingearbeitet werden. Theoretisch das Problem des Verlags, der schließlich das wirtschaftliche Interesse an der Fortführung des Titels hat. Doch auch dort konnte man nicht so einfach eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger aus dem Hut zaubern.
„Und zu sagen ‚nach mir die Sintflut‘ kam für mich nicht in Frage“, erklärt Wagner. Deshalb war er schon vor längerem auf die Suche gegangen, als sein früheres Ausscheiden noch nicht absehbar war. Über die Jahre hatten sich diverse Kandidaten als wenig geeignet erwiesen, weil sie die fachlichen Anforderungen nicht erfüllen konnten. Und eine potenzielle Nachfolgerin, die Wagner gründlich eingearbeitet hatte, war überraschend nach der Elternzeit nicht in den Beruf zurückgekehrt. Wieder schien die Zukunft der FKT ungewiss.
Aber manchmal liegt das Gute näher, als man denkt. Seit geraumer Zeit wurde Wagner nämlich bei der alltäglichen Arbeit von Angela Bünger unterstützt. Sie verfasste den Newsletter der Redaktion und arbeitete sich so nach und nach in die Themen der FKT ein. Als die Nachfolge dann erneut zur Sprache kam, fragte sie ihn, ob sie denn eine realistische Chance hätte. Eine Überraschung für Wagner: „Ich fand ihre Frage mutig, weil die Branche beinahe eine reine Männerdomäne ist. Aber sie hat sich das zugetraut, und ich war sicher, dass sie das schafft.“
Weder Wagner noch Bünger haben eine klassische Journalistenausbildung oder -karriere hinter sich. Wagner ist Ingenieur, der nach Sparrunden seines damaligen Arbeitgebers vor achtzehn Jahren plötzlich arbeitslos war. Nebenbei hatte er bereits für amerikanische Fachzeitschriften geschrieben. Daraus entstand eine freie Mitarbeit für FKT, deren damaliger Chefredakteur auf der Suche nach einem Fachjournalisten war. Aus der Arbeitslosigkeit gründete Wagner sein Redaktionsbüro, mit dem er Texte zur Film-, AV- und TV-Produktionsbranche anbot und diverse Fachmedien in Deutschland und den USA belieferte. Schnell hatte er sich etabliert: „Meine Texte haben eine sehr lukrative Nische bedient, weil ich als Ingenieur einen tiefen Einblick in die Materie hatte und gut ins technische Detail gehen konnte.“
FKT holte ihn nach einiger Zeit als stellvertretenden Chefredakteur mit einer halben Stelle auf Honorarbasis ins Boot. 2007 nutzte Wagner dann die Chance, selbst Chefredakteur zu werden, als sein Vorgänger den Posten aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Für die Entscheidung blieb ihm eine Nacht Bedenkzeit, schon am nächsten Tag war er auf sich gestellt. Im wahrsten Sinne des Wortes: In seinen ersten Jahren als Chefredakteur lagen die komplette Heftproduktion und das Beiwerk wie Newsletter in seinen Händen. Erst nach ein paar Jahren Einzelkämpfertum bis zur Schmerzgrenze sorgte der Verlag für Entlastung und engagierte weitere Mitarbeiter.
So waren auch Bünger und Wagner zusammen gekommen. Als für die Redaktion Unterstützung gesucht wurde, sah sie die Stellenausschreibung im Business-Netzwerk LinkedIn. Der fachliche Hintergrund stimmte bei ihr: Nach ihrem ein Studium zur Übersetzerin hatte sie viele Jahre PR und Marketing für einen Distributor von Kinotechnik betreut. Neben der Festanstellung arbeitete sie freiberuflich als Texterin und Übersetzerin. „Das war für mich die Gelegenheit, ganz in den redaktionellen Bereich zu wechseln, weil mir das schon immer sehr viel Spaß gemacht hat.“ Jetzt diesen großen Auftrag komplett zu übernehmen ohne bei null anfangen zu müssen, empfindet sie als positiv.
Eigene Akzente setzen
Bei der Nachfolgeentscheidung konnte Bünger den Verlag erneut von sich überzeugen. Das letzte halbe Jahr war sie die stellvertretende Chefredakteurin und erhielt von Wagner eine umfassende Einarbeitung in alle Aspekte der redaktionellen Arbeit. Zum Jahresanfang über nahm sie dann ganz die Chefredaktion der FKT. Wagner ist zuversichtlich, dass er sich keine Sorgen um „seine“ Zeitschrift machen muss: „Wir haben eine ähnliche Sichtweise auf vieles, aber sie geht ihren eigenen Weg und nimmt viele neue Themen auf.“ Bünger freut sich schon darauf, eigene Ideen auszuprobieren.
Wagner wird noch einige Zeit als Herausgeber im Impressum stehen. Ins Alltagsgeschäft will er seiner Nachfolgerin aber nicht mehr reinreden: „Ich habe ihr alle Visitenkarten und das Archiv der letzten 25 Jahre gegeben. Das Editorial der Dezember-Ausgabe war mein letztes.“ Journalismus und Medien sind für ihn dann abgeschlossen. Hilfestellung im Bedarfsfall ist das einzige, was er sich noch vorstellen kann. Langweilig wird es ihm trotzdem nicht, mittlerweile konnte er auch Pläne für den Ruhestand machen. So wird er sich ehrenamtlich im sozialen Bereich engagieren und hat bereits mit einer entsprechenden karitativen Ausbildung begonnen.
Rein juristisch betrachtet, ist der Fall im Übrigen keine Übergabe: Der Verlag der FKT hatte mit Wagner einen Rahmenvertrag den er nun mit Bünger fortführt. Alles Weitere haben die beiden unter sich ausgemacht. Da sie jeweils im eigenen Home-Office arbeiteten und sich regelmäßig persönlich trafen, musste sich auch bei den Büros nichts ändern. Nur die Redaktionsanschrift im Impressum ist künftig eine andere. Ein Modell auch für andere? „Es ist natürlich vom Vorwissen im Thema abhängig, ob das bei anderen Fachzeitschriften genauso gut funktionieren kann wie bei uns“, sagt Bünger, doch noch wichtiger ist für beide: „Die Sympathie muss in jeden Fall stimmen und man muss sich aufeinander verlassen können.“
FKT gibt es als Titel seit 68 Jahren. Angela Bünger hofft, dass mit ihr als Chefredakteurin viele Jahre dazu kommen, bevor sie sich dann irgendwann selbst auf die Suche nach einem Nachfolger machen muss.
Dieser Artikel erschien bereits unter dem Titel „Reibungslose Übergabe“ im DJV-NRW Journal 1/15.
Bei der Nachfolgeregelung sollte auch darauf geachtet werden, dass nicht nur das Zwischenmenschliche, sondern auch die Fachkompetenz stimmt. Es ist nicht immer leicht, wenn der Chef wechselt, Mitarbeiter könnten darunter leiden. Ist das der Fall, könnte sich das auf das Unternehmen auswirken.
Liebe Louise,
ich glaube, du meinst „dass nicht nur die Fachkompetenz, sondern auch das Zwischenmenschliche stimmt“ – sonst macht dein Kommentar wenig Sinn. Davon abgesehen stehen wir nicht so darauf, wenn uns jemand einen Werbelink in einem Kommentar unterjubelt. Wir haben ihn entfernt, und du verstehst das sicher. Für die Zukunft möchten wir dich bitten, das zu lassen.
Danke und viele Grüße
Bettina