Man nehme ein paar Zahlen aus einer öffentlichen Datenbank, setze sie in eine hübsche Infografik um und stelle es online. Fertig ist ein Produkt des Datenjournalismus. Ganz so einfach ist die Umsetzung natürlich nicht, aber das ist der Weg „in grob“. Im Detail steckt viel Arbeit hinter guten datenjournalistischen Produkten, die oft interdisziplinär zwischen Programmierern, Journalisten und Gestaltern einhergeht.
Seit einiger Zeit ist Datenjournalismus ein Thema. Renommierte Medien weltweit wie The Guardian, ZEIT Online und die New York Times nutzen Daten und deren Visualisierung als Grundlage für Beiträge. Der Journalist Mirko Lorenz aus Bad Honnef gehört zu den Pionieren dieser Disziplin in Deutschland und sieht eine positive Entwicklung in den Medien: „Datenjournalismus stößt auf großes Interesse. Die internationale Szene ist immer noch relativ klein, aber es geht in vielen Feldern voran. Bei den Vorreitern wie New York Times oder Guardian Data Blog verfestigt sich diese Darstellungsvariante immer mehr, auch weil gute Daten-Stories bei den Lesern und Nutzern auf großes Interesse stoßen.“
Im letzten Dreivierteljahr sind viele neue Projekte mit Daten entstanden, so auch das viel beachtete Lobbyplag. Bei Lobbyplag wird deutlich, dass Daten nicht gleich Zahlen sind, denn hier geht es um Dokumente der EU. Lobbyplag vergleicht Anträge zur EU-Datenschutz-Grundverordnung mit den Vorschlägen betroffener Lobbyisten. Die Vorschläge großer Firmen wurden zum Teil eins zu eins in die Anträge der Parlamentarier übernommen. Auf der Webseite werden die Vorschläge gleich neben den Anträgen der Abgeordneten gezeigt, sodass die Übereinstimmungen offensichtlich sind.
Wo kommen die Daten her?
Daten sind da. In riesigen Mengen. Alles und jeder ist erfasst. Nur mit der Zugänglichkeit hapert es teilweise. Denn anders als bei den von Lobbyplag untersuchten Gesetzgebungsverfahren, deren Papiere öffentlich im Internet abrufbar sind, sind viele Daten bei Behörden „hinter Schloss und Riegel“ und lassen sich nur mit Einschränkungen abrufen.
Hier setzen die Open Data-Initiativen an. Ihre Forderung: Daten, die nicht personenbezogen sondern statistisch sind, wie zum Beispiel Zensus- oder Haushalts-Daten, sollen öffentlich zugänglich sein. Jedoch nicht mit einzelnen Abfrageangeboten, sondern mit frei zugänglichen Schnittstellen, sogenannten APIs. Damit könnten Programmierer wie auch Journalisten die Daten im Rohformat nutzen und auswerten und in ihre Anwendungen integrieren.
Die Arbeit der Open Data-Initiativen hat auch schon vielerorts zu ersten Ergebnissen geführt. So gehören NRW-Städte wie Bonn, Köln, Moers und Münster mit zu den „offensten“ Städten in Deutschland. Gerade erst an den Start gegangen ist das Portal GovData des Bundesinnenministeriums. GovData möchte alle verfügbaren Datenbestände der Verwaltungen aller Ebenen auf einer Webseite zusammenführen. Bis 2014 ist das Portal noch im Beta-Betrieb und soll schrittweise ergänzt werden.
Wie wird man Datenjournalist?
Datenjournalismus ist eine ziemlich junge journalistische Disziplin. Entsprechend gering ist das Angebot an Aus- und Weiterbildung hierfür. Diverse Bildungseinrichtungen bieten ein- oder zweitätige Workshops für Einsteiger an, ein umfassendes Angebot fehlt jedoch. Prof. Andreas Schümchen von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sieht hier Nachholbedarf: „Datenjournalismus steht in Deutschland noch ganz am Anfang. Journalisten haben allerdings immer mehr Zugriff auf Daten, und auch die Visualisierungstechniken erlauben immer kreativere Darstellungen. Journalisten müssen allerdings mit Daten umgehen, ihre Qualität beurteilen und sie interpretieren können. Dann sind Daten künftig eine weitere Quelle für spannende Themen und Geschichten.“
Bei unseren Nachbarn ist man schon einen Schritt weiter: Im Herbst startet an der Universität Zürich ein Studienschwerpunkt „Politischer Datenjournalismus“. Hier können sich Studenten des Master-Studiengangs Politikwissenschaft für den Umgang mit Daten zu publizistischen Zwecken qualifizieren. Deutsche Hochschulen
Mirko Lorenz sieht in der Aus- und Weiterbildung eine wichtige Voraussetzung für den Datenjournalismus. Es muss nicht nur Wissen aufgebaut, sondern auch Vorurteile müssen abgebaut werden: „Das Gros der Journalisten hat Vorbehalte. Die häufigsten kritischen Fragen kommen zur Datenqualität – viele Journalisten misstrauen Statistiken. Aber eigentlich ist ja gerade eine solche Überprüfung von Behauptungen, Zahlen und Trends ein Einstieg in dieses Feld. Ich glaube, die verfügbaren Trainingsmaterialien sind bei weitem noch nicht umfassend genug, daher liegt bei uns der Fokus auf Aus- und Weiterbildung für den Umgang mit Daten.“
Der Nerd ist Dein Freund
Doch man muss kein Programmierer sein, um anspruchsvolle Projekte mit Daten umzusetzen. Es gibt genug Informatiker, Programmierer, Webdesigner und Co. die aus rein intrinsischer Motivation offene Daten für ihre Zwecke nutzen, aufbereiten und ins Netz stellen. So wie Marian Steinbach, der im Februar den Kölner Open Data Day organisiert hat. Bei dieser Veranstaltung konnten Entwickler wie Journalisten gemeinsam an Projekten mit Daten arbeiten. So entstand zum Beispiel eine Webseite, die die Qualität der Fahrradwege in Köln dokumentiert. Steinbach glaubt an das Konzept der offenen Daten: „Diese wurden schließlich mit unseren Steuergeldern erfasst, also stehen sie uns auch zu.“ Der Open Data Day findet weltweit statt. Die Teilnehmer wollen durch die Projekte mit zeigen, was alles mit offenen Daten möglich ist.
Doch auch ganz ohne Programmierkenntnisse können offene oder selbst erhobene Daten genutzt werden. Für journalistische Zwecke hat das ABZV den „Datawrapper“ entwickelt. Diese kostenlos nutzbare Open Source-Software kann Daten visualisieren. Durch individuelle Anpassung können diese Diagramme und Infografiken nachher an die Gestaltung jedes Mediums angepasst werden. The Guardian, Le Monde und in Deutschland die Dortmunder Ruhr Nachrichten nutzen die Software in der Praxis.
Der Beitrag erschien zunächst im DJV NRW Journal 02/13 und wurde für die Online-Veröffentlichung modifiziert.